Wirken
WIRKEN VON MARIE-LOUISE VON FRANZ
Ihr Leben und Werk sind geprägt durch die Erfahrung dessen, was Jung die ‚objektive Psyche’ oder das ‚kollektive Unbewusste’ genannt hat und durch die Auseinandersetzung mit dieser dem Ichbewusstsein gegenüberstehenden autonomen Psyche. In einer Analyse der Träume der Märtyrerin Perpetua (gest. 203) hat sie gezeigt, wie sich das Werden des christlichen Glaubens, der Übergang von der Antike ins Christentum in der Seele betroffener Menschen darstellte. Ihre wichtigsten Arbeiten befassen sich mit der Kompensation der Einseitigkeiten des Christentums durch das kollektive Unbewusste, sowie mit der Erweiterung des christlichen Gottesbildes, wie es sich in der Gefässsymbolik der Gralslegende und der Gestalt Merlins, in den Visionen des Niklaus von Flüe und in der Alchemie darstellt. Einige Arbeiten betreffen Probleme der praktischen Psychologie. In einer meisterhaften ‚inneren’ Biographie stellt sie Jungs Leben und Werk in den Zusammenhang der bedrängenden Zeitprobleme. In einer auf seinem Konzept der Synchronizität gründenden Untersuchung versucht von Franz durch eine archetypische Auffassung der natürlichen Zahlen dem hinter den Erscheinungen von Psyche und Materie liegenden Einheitsaspekt des Seins (unus mundus) näherzukommen. In einem ihrer Werke erörtert sie das Problem der Projektionen und die hinter diesen liegende psychische Wirklichkeit. Die Untersuchung führt über die Dämonenlehre der Antike und des christlichen Mittelalters zur Realität des Bösen in der heutigen Welt.
Von Franz hat von 1938 bis 1948 die Deutungen in Symbolik des Märchens (Bern 1952-57) ausgearbeitet. Die späteren Werke, wirklichkeitsbezogen und an der analytischen Praxis orientiert, sind hauptsächlich überarbeitete Vorlesungen. Mehrere Arbeiten befassen sich eingehend mit dem Problem des Bösen und der Wandlung in der Einstellung zum Archetyp des Weiblichen. Wichtig sind ihre zahlreichen psychologischen Märcheninterpretationen. Diese beruhen auf der Ansicht von Jung, dass das Märchen als ein spontanes, naives Produkt der Seele wohl nicht anders als das aussprechen kann, was eben die Seele ist. Einen guten Einblick in die theoretischen Überlegungen gibt Interpretation von Märchen, eine Einführung. Aus ihrer Sicht sind die Märchen der reinste und einfachste Ausdruck kollektiv unbewusster psychischer Prozesse.